Gesunde und gerechte Ernährung für alle, unabhängig von der sozialen Stellung, des Geschlechts, des Alters. Auch die Produktion soll gerecht sein, auf der ganzen Wertschöpfungskette.
Das Thema am dritten Abend der Veranstaltungsreihe: die (Clichés der) Rollenverteilung in der Landwirtschaft. Es geht um die Ausbildung, Zugang zu Land, soziale Absicherung. Wieso sind die Frauen – heute noch und auch bei uns – häufig am schlechtesten gestellt? Was kann wie verbessert werden? Welche Möglichkeiten werden bereits umgesetzt? Und was können die Frauen selber dafür tun?
Johanna Herrigel diskutierte mit
- Anne Challandes, Schweiz. Bäuerinnen und Landfrauenverband
- Sandra Contzen, BFH HAFL
- Tina Goethe, Brot für alle und WIDE
- Nadia Graber, Biobäuerin
- Ulrike Minkner, Bäuerin und uniterre
Einführende Fragen an Anne Challandes
Welche unbezahlten Aufgaben und Arbeiten führen Frauen auf Bauernhöfen aus?
Es gibt Frauen, die entlöhnt sind, aber auch viele die nicht entlöhnt sind. Es ist eine Frage der Familienstruktur und des -einkommens – es gibt Frauen, die Stallarbeit machen ohne Entlöhnung, und es gibt Frauen, die Büroarbeit und die Buchhaltung machen, für die sie entlöhnt werden. Es ist weniger eine Frage der Arbeit als eine Frage des Diskussionstandes und der Offenheit und der Kenntnisse in der Familie
Viele der Arbeiten sind unsichtbar, wie in anderen Familien auch. Frauen kochen und putzen, machen den Garten zur Selbstversorgungen. Häufig leiten sie ihren eigenen Produktionszweig, z.B. die Direktvermarktung oder soziale Landwirtschaftsprojekte. Sie sind verantwortlich für die Verpflegung der Angestellten und Auszubildenden, ggf. putzen sie deren Unterkunft, sie unterstützen sie bei Schulaufgaben, machen Lohnabrechnungen, die Buchhaltung und andere administrative Arbeiten. Häufig sie vertreten den Betrieb nach aussen, zum Beispiel bei Kontrollen oder beim Tierarztbesuch. Und, sie teilen die Beschlüsse und Belastungen mit ihrem Partner.
Wie viele Frauen sind betroffen?
Die Daten stammen aus 2013 (die nächste Erhebung soll 2022 stattfinden): damals arbeiteten dreiundvierzigtausend Frauen von Betriebsleitern; über 30’000 wurden dafür nicht entlöhnt:
- 16% waren bei der AHV als selbständig Erwerbstätig angemeldet und
- 15% als angestellt.
- 56% der Frauen arbeiten auf dem Hof ohne Entlöhnung und
- 13% hatten einen unbekannten Status.
Ein Teil der Frauen arbeitete ausserhalb und war dort bei der AHV angemeldet.
Was genau ist das Problem der unbezahlten Arbeit
Das Problem ist die Anerkennung, nicht nur in der Familie, auch die soziale Anerkennung ausserhalb. Und: ohne Lohn gelten sie für die Sozialversicherung und AHV als nichterwerbstätig. Daraus können sich viele Nachteile ergeben.
Nicht erwerbstätig = nicht versichert
Ohne Status «erwerbstätig» kann frau keine 2. Säule äufnen, erhält keine eigene AHV, kann keine Mutterschaftsentschädigung fordern (die gibt’s nicht ohne Lohn), und im Scheidungsfall kann sie auch nicht stempeln gehen.
Vielleicht ergeben sich minimale steuerliche Einsparmöglichkeiten für beide Partner während der glücklichen Ehe. Aber bei einer Scheidung, und in der Landwirtschaft ist die Scheidungsrate gleich hoch wie sonst in der Gesellschaft, erhöht die vorherige Gratismitarbeit die Schwierigkeiten.
Welche unterschiedlichen Ausbildungen gibt es und wie sind sie strukturiert?
Landwirt.in (mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis EFZ) ist eine dreijährige Berufslehre. Diese klassische Grundausbildung hat die Schwerpunkte Pflanzenbau, Tierhaltung, Mechanisierung, Arbeitsumfeld und allgemeinbildende Fächer. Erfolgreiche Absolvent.inn.en sind direktzahlungsberechtigt.
Bäuerin ist (mit eidgenössischem Fachausweis BP) ist eine 5-semestrige Ausbildung mit den Schwerpunkten Haushaltsführung, Ernährung, Produkteverarbeitung, Betriebslehre und Buchhaltung. Ackerkulturen, Rindviehaltung u.a. werden als Wahlmodule angeboten. Der Fachausweis gibt ebenfalls Anrecht auf Direktzahlungen, d.h. mit dieser Ausbildung kann man einen Betrieb übernehmen und leiten.
Zementiert die Ausbildung Geschlechtertrennung?
Möglich. Aber fast 90% der Betriebe sind in männlichen Händen. D.h. die Frauen kommen in die Landwirtschaft, weil sie einen Mann lieben. Sie haben häufig also schon einen ersten Beruf, während der Mann schon auf dem Betrieb arbeitet. Sie übernehmen eine traditionelle Rollenverteilung, obwohl die Möglichkeit, andere Rollen zu übernehmen, durchaus besteht.
Die Bäuerinnen-Ausbildung mag die traditionellen Frauenaufgaben adressieren, und natürlich wird die Ausbildung weiterentwickelt, aber bloss weil diese Aufgaben traditionnel von den Frauen ausgeübt wurden, bedeutet nicht, dass Ernährung, Foodwaste, Gartenbau und Buchhaltung nicht zentral wären – wie uns der Lockdown vor Augen geführt hat. Auch zeigt die Tatsache, dass diese Ausbildung zu Direktzahlungen berechtigt, dass sie zur Autonomie beiträgt. Wir wollen nicht alles wegwerfen «der Gleichberechtigung willen»!
Paneldiskussion:
Was ist mit der Geschlechterungerechtigkeit im globalen Süden?
Tina Goethe (Bfa): Die Verantwortung für die Ernährung in der Familie – von der Pflege des Saatgutes bis zum Kochen – ist bei den Frauen. Das ist eine grosse Verantwortung, insbesondere wenn ihnen die Grundlage dazu entzogen wird, zum Beispiel, weil ihnen der physische Zugang zu Land entzogen wurde (Bsp Palmölplantagen in Afrika). Aber auch Wasserholen, Holzsammeln und Kochen auf dem offenen Feuer, sind schwere Arbeiten, die viel Zeit beanspruchen. Diese Familienarbeit lastet auf den Frauen und nimmt ihnen die Möglichkeit, einer anderen Aktivität nachzugehen. Bleibt der Direktverkauf auf Strassenmärkten und in Strassenküchen als wichtige Möglichkeit für Frauen, um Geld zu verdienen – Geld für medizinische Versorgung, die Schulbildung für die Kinder, Kleider.
Die Infrastruktur im globalen Süden ist eine ganz andere als bei uns. So sind auch ihre politischen Forderungen andere: Sie brauchen Land, Gesundheitsversorgung und Bildung für Kinder. Diese fundamentalen Forderungen sind noch in weiter Ferne.
In die Familie reinwachsen.
Nadia Graber: Ein Bauernhof ist ein spezielles Konstrukt, in dem die drei Sektoren Betrieb, Arbeit und Familie nicht immer klar getrennt sind. Viele Arbeiten, die eine Bäuerin leistet, leistet sie für ihre Kinder, aber auch für ihre Mitarbeiter.inn.en. Ist also die Arbeit direkt für den Betrieb von Nöten oder «nur» eine Familienarbeit? Wenn frau dann noch alle damit verbundene Administration selbst regeln muss, die Schwiegermutter auch nie ein Gehalt erhalten hat und der Hof sowieso «am Limit» läuft, scheint es häufig einfacher, keinen Lohn zu beziehen.
Zusammen Quereinsteiger.
Ulrike Minkner: Einfacher scheint die Situation zu sein, wenn beide aus andern Berufen kommen und zusammen Betriebsleiter werden. Sie schaffen ihre neue Struktur gemeinsam, auch ihre Rollenverteilung inklusive Kochen und Arbeit ausserhalb. Eine Arbeitsteilung findet trotzdem statt und wenn plötzlich eine Person nicht mehr da ist, ist die, die zurückbleibt auch in dieser Konstellation auf Hilfe von aussen angewiesen.
Sexistische Ausbildung
Die landwirtschaftliche Ausbildung scheint die traditionelle Rollenverteilung zu stärken. Die Unsichtbarkeit der Arbeit der Frauen wird durch die klare Ausrichtung der Bäuerinnen-Ausbildung zementiert und wer gleichberechtigte Partnerin sein will, sollte die Fachausbildung zur Landwirtin machen. Auch wenn dort die Rollenverteilung schon in der Sprache der Unterlagen ebenfalls gefestigt wird…
Die Bäuerinnen des Podiums wünschen sich, dass in der Lehre zum Landwirten/zur Landwirtin auch Module angeboten würden zum Haushalt und der Ernährung – und die angehenden Bäuerinnen BZ einen Traktorfahrkurs machen könnten. Anne Challandes gibt zu bedenken, dass die 3-jährige Landwirt.innen-Ausbildung schon intensiv ist und nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen kann.
Unternehmen Landwirtschaft
Ein Viertel der Bauernfamilien in der Schweiz sind finanziell in einer kritischen Situation und die Verschuldung Schweizer Bauernhöfe ist extrem hoch. Welche Wege gibt es, aus der Mühle rauszukommen? Wie könnte man sich re-organisieren, was könnte man anders machen? Jeder Betrieb und jede Situation ist verschieden. Es ist wichtig, gemeinsam zu überlegen und zusammen die beste Lösung für die Frau, den Mann, den Betrieb, die Situation zu finden. Professionelle Beratungen (wie sie zum Beispiel der SBLV anbietet) helfen, passende Rahmenbedingungen zu schaffen.
In der AgrarPolitik 22+ wurde eine Risikoabsicherung für PartnerInnen, die häufig und viel mitarbeiten, verlangt. Auch wenn die AP sistiert wurde: die Diskussion kam ins Rollen. Die daraus entstandene Sensibilisierungskampagne geht weiter und in die richtige Richtung.
Gratisarbeit
Sandra Contzen erinnert daran, dass es unbezahlte Mitarbeit in allen Berufen und Familienunternehmen und nicht nur auf Bauernhöfen gibt. Obwohl das im ZGB Artikel 165 unter «Ausserordentliche Beiträge eines Ehegatten» eigentlich anders geregelt ist: «Hat ein Ehegatte im Beruf oder Gewerbe des andern erheblich mehr mitgearbeitet, als sein Beitrag an den Unterhalt der Familie verlangt, so hat er dafür Anspruch auf angemessene Entschädigung.» Bleibt die Frage, was mit der Care-Arbeit passiert?
Der Grossteil der Care-Arbeit ist unbezahlt, es sei denn man lagert sie aus. Ein Grossteil dieser hauswirtschaftlichen und Kindersorgearbeit wird von Frauen geleistet. Ohne sie würde kein Kind je zur Schule gehen können. Die Frage, die sich stellt, ist, wieso diese Tätigkeiten (erst) in der Fachausbildung gelehrt werden sollten; Hausarbeit, Ernährung und Familienwohl sind für uns alle wichtig und gehörten deshalb in die schulische Grundausbildung integriert. Als positiver Nebeneffekt erhofft sich Sandra Contzen, dass, wenn alle wissen, wie viel Aufwand diese zentralen Arbeiten bedeuten, dieser auch wertgeschätzt wird.
Fazit
Frauen organisiert Euch!
Sich selber ausbeuten darf nicht sein. Auf dem Hof Mitarbeitende, auch Familienmitglieder, sollen korrekt entlöhnt werden. Wie können alle die, die unsere Lebensmittel produzieren, genug verdienen, um selber ein menschenwürdiges Leben zu haben? Ihre unbezahlte Arbeit subventioniert unsere Lebensmittel. Das macht keinen Sinn. Deshalb:
Gute Rahmenbedingungen sollen gegeben werden, aber die Frauen sollen selber entscheiden können.
Um etwas zu ändern, müssen sich die, die für ihre Rechte einstehen, organisieren.
Das bäuerliche Bodenrecht regelt den landwirtschaftlichen Besitz und nicht die Arbeitsteilung oder andere angesprochene Probleme. Um den Risikofaktor Scheidung zu minimieren, raten die Panelistinnen den Jungbäuerinnen im Saal, klare Abmachungen zu treffen bevor sie «einfach so» auf die Höfe ziehen und Investitionen immer schriftlich festzuhalten.