Agrarökologie –
System Change in der Landwirtschaft!
Artenschwund, Verlust von Bodenfruchtbarkeit, Klimawandel, Landraub, Bauernfamilien unter dem Existenzminimum und Hunger trotz globaler Überproduktion – im sogenannt «modernen» Agrarsystem ist der Wurm drin.
Der Welternährungstag bot Gelegenheit über Lösungsmodelle zu diskutieren, die die Agrarökologie bietet; für Regierungen, Organisationen und jeden einzelnen von uns.
Lesen Sie Tina Goethes Notizen zu den Referaten und klicken Sie zu den Vorträgen und Powerpointpräsentationen des Tages:
Dr. theol. Simone Fopp, Pfarrerin in Zollikofen und Stiftungsrätin von HEKS eröffnete die Tagung. Der Klimawandel ist kein übliches Politthema wie z.B. das Rentenalter.
Es geht uns an dieser Tagung darum, die Bedingungen für die Möglichkeit von Politik – also von gesellschaftlichem und politischem Handeln im breiten Sinne – zu diskutieren. Denn Politik findet nicht nur im Parlament und der nationalen Verwaltung statt. Sie findet auf vielen Ebenen, an vielen Orten und auf viele verschiedene Arten statt. In internationalen Gremien wie der UNO, der WTO oder auch in bilateralen Verträgen, sowie auf nationaler Ebene, in der Region, der Stadt, der Gemeinde oder auch dem Stadtteil, in dem wir leben.
Agrarökologie. System Change in der Landwirtschaft
Johannes Brunner, BFH-HAFL, Moderator: Eine Krise (危机) ist nicht nur eine Gefahr (危), sie bietet auch Möglichkeiten (机). Es gilt, sie zu erkennen und zu nutzen. System Change in der Landwirtschaft!
Wohlstand durch Agrarexporte?
Prof. Dr. Mathias Binswanger: Ein Rückblick auf die landwirtschaftlichen Export- und Importstatistiken der Schweiz sowie auf die Preisentwicklungen zeigen, dass Bauern nicht von Agrarexporten profitieren. Die Wertschöpfung bleibt in der Regel bei den verarbeitenden Firmen bzw. den Agrarhandelsunternehmen. Landwirte finden sich in der so genannten landwirtschaftlichen Tretmühle wieder, weil sie versuchen, tiefere Preise durch erhöhte Produktion wettzumachen. Was wiederum zu tieferen Preisen führt. Das gilt auch für die afrikanischen Länder südlich der Sahara. Die Preise für Agrarrohstoffe sind tief bzw. starken Schwankungen auf dem Weltmarkt ausgesetzt. Aufgrund der starken Spezialisierung von wenigen Exportprodukten, sind viele Entwicklungsländer innerhalb der letzten von Agrarexporteuren zu Importeuren von Lebensmitteln geworden.
Ein Fokus auf Exportpolitik steht der Umsetzung agrarökologischer Prinzipien entgegen. Es braucht daher unbedingt eine Einschränkung für den Freihandel.
Warum Agrarökologie Land braucht und keine Konzerne
Dr. Silva Lieberherr, Brot für alle : Im Aufruf des internationalen Agrarökologie-Treffens Nyéléni von 2015 warnen die Organisationen von Bäuerinnen, Hirten, Fischerinnen und Landlosen vor der Vereinnahmung von Agrarökologie durch die Akteure der industriellen Landwirtschaft. Agrarökologie hat einen grundsätzlichen Systemwandel als Ziel. Und dieser wird nicht durch jene erreicht, die das vorherrschende Ernährungssystem nicht nur stützen, sondern auch sehr von ihm profitieren. An dem notwendigen Systemwandel haben diese Akteure kein Interesse. Wenn internationale Agrarkonzerne als Partner für die Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit und den Klimaschutz gewonnen werden sollen bzw. sich als Partner dafür anbieten, dann verkennt das, das eben diese grossen Konzerne ihre Marktmacht und ihren politischen Einfluss dafür nutzen, um Agrarökologie und den Systemwandel zu verhindern. So setzt zum Beispiel die Weltbank Programme durch, um Land zu privatisieren, was schlussendlich dazu führt, dass Bäuerinnen und Bauern ihr Land verlieren. Und über Investitionsschutzabkommen werden die Interessen von Investoren und GrossgrundbesitzerInnen geschützt.
Bauern, Landarbeiterinnen und wir als Bürgerinnen und Bürger sind die Akteure eines Systemwandels in Landwirtschaft und Ernährung.
Landwirtschaft am Scheideweg: Der Weltagrarbericht von 2008 mit Blick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele
Prof. em. Dr. Hans Hurni: Der Weltagrarbericht IAASTD 2008 kaum zu dem Schluss «weiter wie bisher ist keine Option». Die industrielle Landwirtschaft ist an ihre Grenzen gestossen bzw. bereits weit darüber hinaus dabei, die natürlichen Ressourcen der Welt zu zerstören. Der Privatsektor, darunter auch Syngenta und Monsanto, waren in dem grossangelegten, internationalen und interdisziplinären Prozess zur Erarbeitung des Berichts von Anfang an beteiligt. Relativ kurz vor Veröffentlichung zogen sie sich zurück, als klar wurde, dass die Resultate nicht zu ihren Gunsten ausfallen würden und ein grundsätzlicher Wandel gefordert wurde.
Aktuell nimmt der Global Sustainable Development Report Agrarökologie auf, wenn auch in begrenzter Interpretation.
Agrarökologie ist mehr als ökologische Landwirtschaft
Simon Degelo, Fastenopfer: Das Konzept der Agrarökologie wurde von der Wissenschaft entwickelt, in engem Austausch mit Bauernorganisationen in Lateinamerika. Agrarökologie versteht sich gleichermassen als Wissenschaft, landwirtschaftliche Praxis und soziale Bewegung.
Die Umsetzung von Agrarökologie in Projekten des Fastenopfers umfasst: ökologische Anbaumethoden, Vermarktung und Verarbeitung, politische Arbeit für die Rechte von Bäuerinnen und Bauern an Land und Saatgut.
Agroécologie en Guinée-Bissau
Aïssée Barry. SWISSAID Ertragssteigerung durch agrarökologische Methoden, Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gefördert, Arbeitslast von Frauen reduziert. Lokale Produktion und Konsum stärken. Landrechte – vor allem auch für Frauen – sichern.
Gestion intégrée des bassins versants au Moyen Atlas
Dr. Pascale Waelti, BFH-HAFL: Landwirtschaft ist multifunktional. Es geht um die Ernährung, aber auch Ökologie, Ökonomie. #agroecologyworks, Dr. Waelti zeigts am Beispiel eines Kooperationsprojekts in Marokko, einem komplexen Projekt, das sich um die nachhaltige Nutzung von Wasser und Boden kümmert im Spannungsfeld traditioneller Autoritäten und nationaler Verwaltung. Das Projekt involviert die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Produzenten und Hirten in der Region in Marokko. Landrechte und Gouvernanzfragen sind sehr relevant und müssen angemessen berücksichtigt werden, zum Beispiel auch bei Waldschutzprojekten.
Präsentation des Diskussionspapiers „Agrarökologie als Mittel zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele“ des schweizerischen FAO-Komitees
Prof. Dr. Dr. Urs Niggli, FIBL: Drei Begriffe sind für die Abgrenzung von Agrarökologie gegenüber anderen ähnlichen Modellen wichtig.
- Suffizienz: Agrarökologie. Reduktion von Überkonsum und Food Waste sind wichtig, um Rebound-Effekte zu verhindern.
- Consistency: Agrarökologie muss jeweils an den Standort angepasst werden. Es gibt nicht gleiche Standards für alle (wie im Biolandbau), sondern die Berücksichtigung von Traditionen, Kultur, territorialen Gegebenheiten, sozio-ökonomischen Kontexten. Es sollen möglichst viel natürliche Materialien zum Einsatz kommen.
- Ökoeffizienz
Um Agrarökologie vorwärts zu bringen braucht es eine Politikkohärenz in der Schweizer Landwirtschafts-, Umwelt-, Aussen-, Handels-, Menschenrechts- und Finanzpolitik (etc.).
Welche Rahmenbedingungen brauchen Ökonomie, Ökologie, Politik, Bildung, Forschung und Gesellschaft, um den System Change zu realisieren? Welche Forderungen haben wir für und an sie um die Klimaziele, SDGs und die UN-Rechte der ländlichen Bevölkerung voranzutreiben?
Die Resultate aus den Arbeitsgruppen. Bitte klicken Sie zum Vergrössern auf die Pinwandbilder, sie zeigen die diskutierten Thesen, Ziele, Herausforderungen, Forderungen.
Ökonomie |
Ökologie Moderation: Nathalie Oberson (BFH-HAFL), Reporting: Judith Reusser (SWISSAID) |
Politik Moderation: Simon Degelo (Fastenopfer), Reporting: Tina Goethe (Brot für alle) |
Gesellschaft Moderation: Karl Heuberger (HEKS), Reporting: Dominik Waser (grassrooted.ch) |
Wissen Moderation: Johannes Brunner (BFH-HAFL), Reporting: Urs Niggli (FIBL) |
Schlusswort
Ulrike Minkner: Der Schwung der heutigen Tagung soll uns weiter begleiten! Verschiedene Gruppen und Organisationen arbeiten weiter mit #agroecologyworks. Bringt Euch ein – damit wir aus der aktuellen Agrarpolitik eine umfassende Politik gestalten, die uns und kommenden Generationen eine Zukunft gibt.